"Brexit" überschattet nächste TTIP-Verhandlungsrunde

Heute startet die vierzehnte Runde der Gespräche zum transatlantischen Freihandelsabkommen der EU mit den USA mitten in die Ungewissheit nach dem "Brexit"-Votum in Großbritannien.

Am Montag startet die vierzehnte Runde der Verhandlungen zum transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP in Brüssel, für Mittwoch ist wieder eines der "Stakeholder Meetings" angesetzt. Dieses Zusammentreffen wird diesmal allerdings etwas anders verlaufen als die bisherigen Meetings, zumal davor zwei Ereignisse zu verzeichnen waren, die eng miteinander verbunden sind. Zum einen verschob das mehrheitliche Votum der Briten für einen Austritt aus der Europäischen Union die Kräfteverhältnisse innerhalb des europäischen Verhandlungsteams.

Die vom "neoliberalen" Ansatz dominierte britische Wirtschaftspolitik verschwindet als treibende Kraft,während die dominierenden Märkte nunmehr Deutschland und Frankreich sind. In beiden Staaten gibt es derzeit keinen wirklichen Konsens zur Zustimmung, denn Gewerkschaften und weite Teile der Sozialdemokraten laufen Sturm gegen TTIP. Dazu kommen Scharen von NGOs - Naturschützer, Bauernverbände, Aktivisten für digitale Bürgerrechte, um nur einige zu nennen - die allesamt strikt gegen die "Nebenwirkungen" dieses Abkommens sind.

Demonstration gegen CETA und TTIP

APA/ROLAND SCHLAGER

Eine Kundgebung gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA vor dem Bundeskanzleramt in Wien am Dienstag, 31. Mai 2016

CETA-Abkommen als Blaupause für TTIP

Befeuert wird die Diskussion durch das verwandte CETA-Abkommen mit Kanada, das bereits ausverhandelt ist und nun zur Ratifikation durch die Mitgliedsstaaten ansteht. Da diese Verhandlungen lange vor TTIP gestartet sind, enthält es die seit den 90er Jahren üblichen Klauseln zum Investorenschutz (ISDS) nahezu vollständig. Diese besonderen Klagerechte für Konzerne vor sogenannten Schiedsgerichten der Welthandelsorganisation (WTO) sind in CETA daher weitgehend enthalten, wenn auch eine Berufungsmöglichkeit gegen den Entscheid dieser "Schiedsgerichte" in letzter Minute dem Abkommen beigefügt worden ist.

Die Anführungszeichen wurden hier bewusst gesetzt, zumal diese "Schiedsgerichte" mit regulären Gerichten weder "de lege" noch "in praxi" etwas gemeinsam haben. Die Verhandlungen sind weder öffentlich, noch sind Richter darin involviert, stattdessen werden von beiden Seiten jeweils internationale Anwaltskanzleien engagiert, von denen es wiederum weltweit nicht viel mehr als zwei Dutzend gibt. Schiedsrichter sind weitere Anwälte aus einer anderen internationalen Kanzlei, die dann entscheiden. Dieselbe, weltweit durchaus überschaubare Gruppe von Personen spielt also abwechselnd drei Rollen: Anwalt des Klägers bzw. Beklagten sowie Richter.

"Brexit", Briten, CETA

Nach dem mehrheitlichen "Brexit"-Votum ist im Moment völlig ungeklärt, ob und wie das Vereinigte Königreich nach heutigem Stand der Dinge von dieser Ratifikation überhaupt noch betroffen ist. Die Verhandlungen führte bekanntlich ein Team der EU, dessen Mitglieder aus verschiedenen EU-Staaten stammen. Außerdem ist unter den an den CETA-Verhandlungen beteiligten britischen Ökonomen kein einziger "Brexit"-Befürworter, zumal den Protagonisten von Freihandelsabkommen Wirtschaftsräume gar nicht groß genug sein können. Sowohl die britische Industrie wie die Dienstleister waren denn auch für den Verbleib Großbritanniens in der EU eingetreten, durchsetzen konnten sie sich bekanntlich nicht.

Risiken, Handelsbilanzen, Charts

Nicht wirklich überraschend forderte der Präsidentschaftskandiat der FPÖ, Norbert Hofer, eine Volksabstimmung über TTIP

Ein Blick auf die neuesten Charts des britischen "Office of National Statics" zeigt, dass auch die nackten Zahlen die ökonomischen Risiken widerspiegeln, die das Vereinigte Königreich mit dem Verlassen der Europäischen Union eingeht. Die Handelsbilanz in Bezug auf ausgeführte bzw. importierte Güter ist mit 23,7 Milliarden Pfund gegenüber 33,5 Milliarden Pfund ganz klar negativ. Das ist allerdings nichts wirklich Neues, denn das Defizit hatte die letzten Jahre über immer schon zwischen etwa 9 und 12 Milliarden betragen und auch die meisten EU-Staaten bilanzieren im Produktionssektor seit langem negativ.

Office of National Statistics
 
Die britische Handelsbilanz in Bezug auf den Export von Gütern zeigt - mit ganz wenigen Ausnahmen - eine fallende Tendenz.

In diesen entwickelten Wirtschaftsräumen des Westens, wie auch in Japan, Australien und Neuseeland, legen jedoch die Exporte im Dienstleistungsbereich Jahr für Jahr zu. Anders als im Güterexport ist auch die Handelsbilanz Großbritanniens hier positiv: Im Mai 2016 schlugen die exportierten Dienstleistungen mit 19,4 Milliarden Pfund Sterling zu Buche, während die Importe bei 11,8 Mrd. lagen. Dieser Überschuss von acht Milliarden weist seit 2014 eine Schwankungsbreite von gerade einmal fünf Prozentpunkten auf, ist also definitiv als stabil zu bezeichnen.

Exporte von Dienstleistungen aus dem UK

Der grüne Präsidentschaftskandidat Alexander van der Bellen ist nicht prinzipiell gegen das Abkommen, verlangt aber, das Agrarkapitel aus der Verhandlungsmasse zu eliminieren.

Auch hier führen die EU-Staaten in Summe als Top-Exportdestination, wenn auch die USA nur knapp dahinter liegen, die Schweiz, Japan, China und Kanada folgen dann mit großem Abstand hintennach. In absoluten Zahlen kommen diese vier Staaten nämlich zusammen gerade einmal auf das europäische Handelsbilanzvolumen Großbritanniens. Es ist also völlig unklar, woher das Vereinigte Königreich in Zukunft Zuwächse lukrieren soll, wenn sich die Handelsbilanz mit der EU deutlich verschlechtert, was angesichts der laufenden Entwicklung nicht zu vermeiden ist.

Da der britische EU-Finanzkommissar und überzeugte EU-Befürworter Jonathan Hill Anfang Juli zurückgetreten ist, nominierte Noch-Premier David Cameron mit Hills Nachfolger Julian King keinen Finanzexperten, sondern einen Diplomaten. King wird mit Finanzfragen nur insofern zu tun haben, als es seine Aufgabe sein wird, den "Brexit" formal korrekt abzuwickeln und weiteren toxischen "Fallout" über der Insel möglichst hintan zu halten.

Die TTIP-Gespräche konnten im Juli 2013 nur deshalb starten, weil die USA zugesagt hatten, die EU-Delegation diesmal nicht auszuspionieren. Direkt davor waren die ersten Enthüllungen Edward Snowdens publiziert worden.

Vertrauensindex zeigt historisches Tief

Der aber dürfte kaum zu bremsen sein, denn auch alle anderen Wirtschaftsindikatoren weisen ganz klar nach unten. Der Vertrauensindex in Bezug auf eine positive Entwicklung der britischen Wirtschaft war bei Endverbrauchern zuletzt auf ein Rekordtief gefallen, eine klare Mehrheit von 60 Prozent erwartete im Mai eine Verschlechterung. Parallel dazu stürzt auch der Kurs der britischen Währung weiter ins Bodenlose, das Pfund Sterling wurde vergangene Woche gerade noch bei 1,30 US-Dollar gehandelt, das ist der niedrigste Wert seit dem Jahr 1985.
Um diese Zeit hatte der sogenannte "Thatcherism" gerade seine ersten Auswirkungen auf die britische Arbeiterklasse gezeigt. Der damals wie heute gerade von der Linken in diesem Zusammenhang häufig strapazierte Begriff des "Neoliberalismus" ist gleich doppelt falsch.

Die Eckpunkte der nächsten TTIP-Verhandlungsrunde ab 11.7. in Brüssel

Neu ist an dieser in den 1920er in Wien festgeschriebenen Ideologie nämlich überhaupt nichts, wie auch die von Margaret Thatcher betriebene Zerschlagung der Gewerkschaftsbewegung rein gar nichts Liberales an sich hatte. Von den frühen Ideologen des 19. Jahrhunderts aus Großbritannien bis zur Wiener Schule rund um Friedrich von Hayek und Ludwig von Mises bestand dieser sogenannte Liberalismus ausschließlich darin, sämtliche Regulierungen der Wirtschaft abzuschaffen, egal ob diese alt oder neu, längst obsolet oder gerade erst eingeführt, fortschrittlich oder reaktionär waren.

Was bei dieser Art von Ideologie, die man als "primitivkapitalistischen Ansatz" bezeichnen könnte, herausgekommen war, entpuppte sich letztlich stets als Börsenblase, bei deren Platzen alle Möchtegernaufsteiger und Neospekulanten von den Professionals nach allen Regeln der Kunst abgezockt wurden. Manche der Abzocker setzten ebenfalls alles in den Sand - inklusive ihres eigenen Kapitals - was bei Spielern nun einmal die Regel und keine Ausnahme ist.

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