Sommergespräch: Kern will als Zweiter in Opposition gehen

Viel Kritik an Kurz

Als fünfter Parteichef hat sich am Montag Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) im für heuer letzten ORF-„Sommergespräch“ präsentiert. Im Wahlkampf seien „sicher Fehler passiert“, so Kern, der nicht mit Seitenhieben auf die ÖVP sparte. Aufhorchen ließ der SPÖ-Chef am Ende der Sendung mit seiner Ankündigung, in Opposition zu gehen, sollte die SPÖ Platz eins verpassen.

Geht die Wahl zugunsten der SPÖ aus, sollte sie auch automatisch das Recht haben, den Kanzler zu stellen, sagte Kern. „Für mich ist das ganz klar, wenn wir Erste werden, dann werde ich Bundeskanzler bleiben. Wenn nicht, dann wird uns die Rolle der Opposition bleiben“. Auch Oppositionsführer zu werden, schloss er nicht aus: „Davon gehe ich aus, dann wird es wohl ein schwarz-blaues Bündnis geben.“

Option Opposition

Kern sagte im „Sommergespräch“, dass die SPÖ in Opposition gehen werde, wenn sie nur Zweiter wird.

Zuvor ging es jedoch noch um Taktik vor der Wahl. Die Überlegung, am Beginn seiner Kanzlerschaft die guten Umfragewerte zu nutzen und selbst Neuwahlen auszurufen, habe es gegeben, sagte Kern. Er sei jedoch in die Politik gegangen, um Verantwortung für das Land zu übernehmen, „nicht nur bei Sonnenschein, wenn es gut läuft“. Die Regierungsübereinkunft mit dem damaligen ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner sei ein sehr guter Kompromiss gewesen, „wir haben eine echte Trendwende geschafft“, etwa bei Arbeitslosigkeit, Wirtschaftswachstum und Migration. Die Zusammenarbeit sei erfolgreich gewesen, auch wenn die SPÖ Kompromisse eingegangen sei.

Petzner „nie in Erwägung gezogen“

Fehler im Wahlkampf sah der SPÖ-Chef etwa beim Umgang mit Wahlkampfberater Tal Silberstein. „Da ist ein Vertrauensverhältnis enttäuscht worden“, so Kern im Hinblick auf die Causa rund um den gefeuerten Berater. „Im Nachhinein kann man sagen, das hätten wir früher beenden sollen.“ Den ehemaligen Berater Jörg Haiders, Stefan Petzner, aber habe man entgegen anderslautender Gerüchte „nie in Erwägung gezogen“, sagte Kern.

Bundeskanzler Kern bei den Sommergesprächen

ORF/Hans Leitner

Auch ein anderes Streitthema sprach er an: Das von der ÖVP kolportierte Naheverhältnis zu Moderator Tarek Leitner. „Was wir beide ja nicht können, ist, über gemeinsame Urlaube in meiner Kanzlerzeit zu diskutieren, die hat es ja bekanntlich nicht gegeben. Ich finde das bedauerlich, dass der Außenminister und ÖVP-Chef und seine engsten Mitarbeiter da Unwahrheiten darüber verbreiten“, sagte Kern in Anspielung auf den jüngsten Zwist zwischen SPÖ und ÖVP.

Koalition mit FPÖ „artifizielle Diskussion“

Der Gretchenfrage der Sozialdemokratie - wie man es mit der FPÖ halten soll - wurde im „Sommergespräch“ viel Raum gegeben. Der „Wertekompass“ der SPÖ soll ja Koalitionsbedingungen formulieren, die für die FPÖ genauso wie für andere Parteien gelten. Kern verteidigte den Bruch mit dem alten Tabu der SPÖ: Die 30 Jahre währende Haltung, grundsätzlich nicht mit der FPÖ über eine mögliche Koalition zu verhandeln, habe nichts gebracht. Die Freiheitlichen hätten beklagt, ausgeschlossen zu werden, und weiter gewonnen. „Mit dem Bestreben, die FPÖ grundsätzlich auszuschließen, haben wir erreicht, dass die ÖVP ewig in die Regierungszusammenarbeit kommt“, so Kern.

Man brauche nun eine inhaltlich geleitete Diskussion, und die SPÖ werde nach der Wahl mit allen Parteien sprechen, die ins Parlament gekommen sind - „außer es passiert so etwas wie mit Herrn Abgeordneten Hübner (der außenpolitische Sprecher der FPÖ, Johannes Hübner, verzichtete nach Antisemitismus-Vorwürfen auf eine neuerliche Kandidatur für den Nationalrat, Anm.)“. Die FPÖ müsse sich weit bewegen, um für die SPÖ ein möglicher Koalitionspartner zu sein.

Der Wertekompass und die FPÖ als Koalitionspartner

Bei Gesprächen nach der Wahl will Kern niemanden ausschließen, auch nicht die FPÖ. Doch von einer gemeinsamen Koalition sei man „Lichtjahre entfernt“.

Kern sagte, es werde derzeit eher eine schwarz-blaue Regierung vorbereitet. ÖVP und FPÖ hätten Wirtschaftsprogramme verfasst, „wo du nicht weißt, wer von wem abgeschrieben hat“. Inhaltlich gebe es wenig Gemeinsames zwischen SPÖ und FPÖ, zudem sei eine Urabstimmung nötig, um den Parteitagsbeschlusses gegen eine Koalition mit der FPÖ aufzuheben. „Das ist ohnehin eine artifizielle Diskussion“, so der Bundeskanzler. Von einer Koalition mit den Freiheitlichen sei man Lichtjahre entfernt. „Diese Frage wird sich am 16. Oktober kaum stellen.“

EU-Kommission nicht der „Sündenbock“

In der SPÖ gibt es unterschiedliche Haltungen dazu – ebenso wie zur Sicherheitspolitik. Hier unterstützte Kern seinen Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil. Er solle in einer neuen Regierung Sicherheitsminister sein, die Gewaltenteilung zwischen Heer und Polizei solle aber aufrecht bleiben.

Beim Thema Flüchtlinge wollte der SPÖ-Chef eine „vernünftige“ Politik, zwischen links und rechts. Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl habe 1996 gesagt, Österreich könne nicht jeden nehmen, der kommen möchte, und jene, die kommen, müssten sich an die Regeln halten. „Das ist immer noch unsere Haltung“, so Kern, „weil wir sonst keine solidarische Gesellschaft haben, sondern eine zerfallende Gesellschaft. Auch für die SPÖ seien der Grenzschutz und der Kampf gegen die illegale Migration wichtig. Der Unterschied liege aber in der Beurteilung der Menschenwürde und darin, ihnen eine Chance zu geben. Menschen, die im Land blieben, dürften nicht in eine Ecke gestellt werden, Integration sei langfristig die einzige Lösung.

Die Flüchtlingspolitik der SPÖ

Kern sah Annäherungen zwischen linker und rechter Flüchtlingspolitik. Er wolle eine „vernünftige“ Politik machen.

Die EU-Kommission dürfe dabei auch nicht immer als Sündenbock dargestellt werden. Manchmal sei es klüger, etwas hinter verschlossenen Türen vorzubereiten, als dem italienischen Partner etwas öffentlich auszurichten, so Kern erneut mit Kritik an ÖVP-Chef Sebastian Kurz, ohne dessen Namen zu nennen.

„Seltsamer Begriff“ von Leistungsträgern

Ein klassisches sozialdemokratisches Thema, Umverteilung, wurde am Montag ebenfalls ausführlich behandelt. Nach der Finanzkrise seien die Dinge aus dem Lot geraten, sagte Kern und nannte Beispiele wie Reallohnverlust und steigende Arbeitslosigkeit. Nun sei Österreich wieder in der Erfolgsspur, und die „wahren Leistungsträger“ müssten ihren Anteil am Erfolg erhalten. Dazu sei es wichtig, die Besteuerung gerechter zu gestalten.

Bundeskanzler Christian Kern

ORF/Hans Leitner

Österreich habe eine hohe Steuerlast, und dennoch niedrigere Vermögenssteuern als etwa die Schweiz. Zudem müsse jeder Würstelstand jeden Monat brav seine Steuern zahlen, Konzerne wie Starbucks hingegen nicht. Der Begriff des Leistungsträgers sei in Österreich seltsam, so Kern. Eine von der SPÖ vorgeschlagene Vermögenssteuer gelte ab einer Million Euro, „die Leute sollen ja nicht völlig enteignet werden, sondern ihren Beitrag leisten“. In eine solche Steuer wolle Kern künftig auch Finanzvermögen inkludieren.

Gegen bedingungsloses Grundeinkommen

Um den Sozialstaat weiter finanzieren zu können, brauche es überdies ein neues Modell. Personalintensive Betriebe, etwa in der Gastronomie, müssten entlastet werden. Ein bedingungsloses Grundeinkommen lehnte der Bundeskanzler ab. Arbeit sei mehr als Broterwerb. „Es ist eine Frage des Selbstwertgefühls der Menschen“ und drehe sich nicht nur um Einkommen. Stattdessen müssten Jobs geschaffen werden, 200.000 bis 2020, erinnerte Kern an sein Wahlprogramm.

Geld für alle ohne Arbeit

Kern lehnte im Gespräch ein Grundeinkommen ohne Bedingungen deutlich ab.

Kern bekannte sich anschließend eindringlich zur EU. Alle großen Probleme könnten nur gemeinsam gelöst werden. Der SPÖ-Chef kritisierte eine Entsolidarisierung unter den EU-Staaten, sowohl bei der Flüchtlingsaufnahme als auch bei der Entsendung von Arbeitskräften. „Wir brauchen mehr Europa bei all diesen Fragen.“

Analyse: Versuch der Mobilisierung

In der ZIB2 gaben wie schon nach den „Sommergesprächen“ davor zwei geladene Journalisten eine erste Einschätzung zum Auftritt ab. Martina Salomon vom „Kurier“ sah Kern am Montag „relativ defensiv“. Er habe einige Spitzen in Watte gepackt und habe sich eher als Herausforderer inszeniert. Kern müsse noch Kraft aufbringen, um die Parteibasis noch mehr zu mobilisieren. Rainer Nowak von der „Presse“ sah einen Versuch zur Mobilisierung in Kerns Aussage, als Zweiter in Opposition zu gehen. Beide Journalisten wollten es nicht ausschließen, dass es nach der Wahl etwa durch lange Verhandlungen nicht doch noch erneut zu einer Großen Koalition kommen könnte - „die Verhältnisse in Österreich kennend“, so Nowak.

Quelle: orf.at

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